Heutzutage bricht man zu weiten, unbequemen Reisen vorgeblich deshalb auf, um neue, andere Kulturen zu entdecken, sich selbst und seinen Körper durch die Strapazen herauszufordern oder auf einer Reise letztlich sich selbst zu begegnen. Kaum einer bricht heute noch auf, weil er wie Lithgow unter dem Fenster seiner Liebsten gesungen hatte und ihm deshalb von ihren Brüdern die Ohren abgeschnitten wurden. Seiner Ohren verlustig zu gehen, kam in der frühen Neuzeit einer schmachvollen Entehrung gleich (heute könnte man damit vielleicht einen neuen Modetrend nach Tattoos, Branding, Lifting etc auslösen). Lithgow entschloss sich daher 1609 – am Vorabend des 30jährigen Krieges – kurzerhand, in den Orient zu reisen und seinen Makel unter dem dort wenig auffallenden Turban zu verstecken. Durch Italien, entlang des östlichen Mittelmeers mit einem Abstecher nach Konstantinopel führt ihn seine weitgehend zu Fuß zurückgelegte Reise bis Palästina und Ägypten. 1614 bricht er trotz (oder wegen) seiner Reiseerfahrungen und nach Niederschrift seiner „Rare Adventures and Paineful Peregrinations“ erneut auf und reist bis 1616 nach Nordafrika von Tunis bis Marokko. 1619 bricht er erneut auf, kommt aber nur bis Spanien, wo er als vermeintlicher Spion und Ketzer verhaftet und schliesslich von der Inquisition gefoltert wird. Er kehrt 1621 nach England zurück, erholt sich von seinen Verletzungen, lässt fortan das Reisen und kämpft vergeblich (und nicht sonderlich diplomatisch) um Entschädigung durch die spanische Krone. Was macht dieses nun endlich auf Deutsch erschienene Buch eines englischen Querulanten und Besserwissers besonders? Was hat uns ein Tourist aus frühen 17. Jahrhundert heute zu sagen? Lithgows Bericht ist unerhört lebendig, plastisch, detailiert und oft genug ausgesprochen, wenn auch ungewollt amüsant in der Beschreibung seiner Reiseerlebnisse, seiner Reisegefährten, der Gefahren und der Begegnung mit anderen Kulturen und Religionen. Erstaunlich ist die Gabe dieses Mannes, sich durch allerlei Gefahren zu schlagen, ob Räuberbanden oder klimatisches Unbill, und auch aus dem plötzlichen Tod der Mitreisenden durch Durst, unbekömmliche Speisen und getränke oder unliebsame Einheimische noch Nutzen für sich und sein Überleben zu ziehen. Vor allem aber ist Lithgow ein ausgesprochen eigensinniger Mann, den auf seiner Reise eigentlich nicht die Entdeckungslust vorantreibt, sondern sein eigener Widerwille: so ist denn sein ganzer Bericht voller Vorurteile, böser Vorahnungen, protestantisch geprägter Arroganz gegenüber Andersgläubigen (insb. „Papisten“) und Verhöhnung anderer Lebensweisen. Gelegentliche positive Urteile ändern nichts an Lithgows abgrundtief subjektiven Urteilen: am besten ist’s halt daheim, auch wenn ein paar Devotinalien aus dem heiligen Land das Ansehen mehren. Ein eigensinniger Reisender und wahrer Pauschaltourist mit entsprechen pauschaler und bitterböser Urteilskraft. Unbedingt lesen!
Startseite » Bücher » Lithgow, William: Die wundersamen Irrfahrten des William Lithgow : mit Illustrationen von Papan