
„Er befand sich tatsächlich gleichsam in einem anderen Aggregatzustand. Sein Körper drückte das besser aus als seine Seele oder seine geistige Verfassung: Fasern wie Blattgerippe, umgeben von einer Aureole zurückgehaltener Kraft, ein kurzes Zucken hier und da, gleichsam ein nervöses Aufwallen, Miniaturexplosionen“.
Der Bauarbeiter José Maria, Ende dreissig, und das Hausmädchen Rosa haben sich ineinander verliebt und treffen sich heimlich über Monate in einem Hotel, bis sie die Abwesenheit von Rosas Arbeitgebern nutzen und sich in der riesenhaften, zum Teil leerstehenden Villa lieben. Doch das Ehepaar Blinder kommt früher zurück und überrrascht die beiden fast. José Maria versteckt sich in der Mansarde, während Rosa denkt, er hätte das Haus verlassen. Da er inzwischen wegen Mordverdachts gesucht wird, beschliesst er zu bleiben und entwicklet sich bald zu einem unsichtbaren Schatten, der jeden bewohnten und unbewohnten Winkel des Hauses kennt, zu überleben weiss und dennoch verborgen bleibt. Heimlich beobachtet er Rosa und die anderen Bewohner und Besucher des Hauses. Neben seinem Training und der Nahrungsbeschaffung bleibt sie der Kern seiner sich bald über Jahre erstreckenden unsichtbaren Existenz, die er nur gelegentlich für vorgeblich von ausserhalb kommende Anrufe bei Rosa zu unterbrechen weiss. Bis er eines Tages entdeckt, was Rosa in der Villa erleiden muss – und beschliesst zu handeln.
Über die leichten Schwächen in der Plausibilität von José Marias jahrelangem Versteckspiel kann man gut hinwegsehen: wenn man sich einmal den kargen Sätzen Sergio Bizzis und der unheimlichen Spannung und Dynamik dieser Geschichte einer besessenen Liebe anvertraut hat, gibt es keinen Ausweg mehr aus diesem Buch und man mag es bis zur letzten Seite nicht mehr aus der Hand legen. Ein sprachlich und stilistisch elegant und unerhöht spannend konstruierter Roman, der in das krisengeplagte Argentinien führt und nicht nur die obsessive Liebe José Marias, sondern in der geschlossenen Welt der Blinderschen Riesen-Villa zugespitzt auch die scharfe Teilung der Gesellschaft des südamerikanischen Landes wie unter dem Mikroskop sichtbar werden lässt. „Stille Wut“ macht Lust auf mehr von diesem argentinischen Autor – Übersetzerinnen und Übersetzer: an die Arbeit!
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