Ungarn, kurz nach dem Scheitern des Aufstandes von 1956: Seit ihre Mutter Katalin in den Westen gereist ist, einfach so, ohne etwas zu sagen, reisen sie umher in dem durch den gescheiterten Aufstand erstarrten Land: Kata, ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Isti und ihr Vater, der ruhelose Kálmán, der es jede Nacht zum Schwimmen treibt. Immer auf der Suche, bleiben sie mal hier, mal dort, bis sie es aufgrund der engen finanziellen Mittel notwendig weitertreibt zur nächsten Ersatzfamilie. Besonders Isti leidet unter dem unerklärlichen Verlust der Mutter, flüchtet sich in seine Fantasie und beginnt, den Steinen, dem Holz, dem Schnee zuzuhören, während Kata die Menschen um sich genau beobachtet, ihre Geschichten in sich aufnimmt. Schliesslich kommen sie am Plattensee vorläufig zur Ruhe: hier lernen Isti und Kata von ihrem Vater, einem geradezu bessenenen Schwimmer, das Schwimmen. Und Isti, „der Schwimmer“, ist bald nicht mehr aus dem Wasser zu kriegen, kennt kein Riskiko, keine Gefahr mehr, während Kata an der scheinbar stillstehenden Zeit am Balaton zu leiden beginnt. Und manchmal ist da so etwas wie Glück, wenn Kálmán im Wasser unter ihren Augen seine bahnen zieht oder mit ihnen hinausschwimmt auf den See, in jenem Sommer, bis sie wieder weiterziehen müssen und ihre Odyssee am Ende eine tragische Wendung nimmt.
Zsuzsa Bánk erzählt diese tragisch endende Kindheitsgeschichte aus der zeit nach dem Ungarischen Aufstand von 1956 unsentimental und doch mit großer Zartheit und Poesie. Der Roman entwickelt durch seine sprachliche Kraft und die besondere Komposition und Atmospäre einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Wo andere die Innenwelt ihrer Haupt- und Nebenpersonen wortreich beschreiben, gewinnen Bánks Figuren an Präsenz, Stärke und Tiefe durch die Dinge, die sie nicht beschreibt, die sie auslässt oder zwischen den Zeilen anklingen lässt. Besonders zeigt sich diese literarische Rafinesse an Isti, der seelisch beonders leidet unter der Trennung von der Mutter und zunächst im „Hören“ von Dingen, später im Schwimmen einen geradezu manischen Ausgleich findet, aber auch in der Figur des Vaters Kálmán. Tief lässt uns Bánk eintauchen in die Gefühls- und Erlebniswelt dreier Flüchtlinge, die vom Leben entfremdet einen Halt suchen auf ihrer rastlosen Fahrt und erst am tragischen Ende so etwas wie Trost, wie einen Hoffnungsschimmer am grauen Horizont ausmachen können – zumindest in der Figur der Tochter Kata.
Ein trauriges, wunderbares Buch von hoher sprachlicher Kraft, atmosphärisch dicht und kompositorisch stringent. „Der Schwimmer“ war der Debütroman der Autorin, die mit dem kürzlich erschienden „Die hellen Tage“ Jargsblog begeistern konnte.
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Lieber Jarg,
ich bin dir einfach mal von caterina hier her gefolgt. Schöne Worte hast auch du gefunden für dieses besondere Buch, das mich ein wenig zerstreut hat und trotzdem sehr einfangen konnte. Einige Leser meinten, „Der Schwimmer“ sei noch besser als „Die hellen Tage“. Dem kann ich nicht zustimmen und bin wieder erstaunt, wie unterschiedlich Bücher wahrgenommen werden. Welches magst du mehr? Oder beide gleich?
Liebe Grüße
Klappentexterin
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Liebe Klappentexterin,
Danke für die freundlichen Worte zu meiner Besprechung.
Ich kann kaum sagen, welches der Bücher mir besser gefällt. Beide Geschichten haben eine ganz eigene Stimmung, die im „Schwimmer“ für mein Gefühl sehr viel trauriger, melancholischer ist als in den „Hellen Tagen“ und den letztlich offenbarten Verlust immer schon vorweg zu nehmen schein. Dagegen klingt in den hellen Tagen viel Kindheitszauber an, der sich später, zur Freundschaft geronnen, als stärker erweist als die letztlich offenbarten Geheimnisse und Lügen.
Somit haben beide Bücher für mich ihre Qualitäten – und ich hoffe sehr, dass man von Zsusza Bánk und ihrer Art zu erzählen bald wieder hören wird.
Liebe Grüsse von
Jarg
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