Wann haben Sie zuletzt bei einer Hotline angerufen, um eine Versicherung abzuschliessen, Fragen zu einer Internetbestellung loszuwerden, sich über eine Flugreise zu informieren …? Dann hatten Sie wahrscheinlich jemanden am Telefon, der sich mit deutschem Namen meldete, mit süddeutschem Akzent oder in perfektem Hochdeutsch – und Ihnen ruhig und freundlich weiterzuhelfen versuchte? Aber hätten Sie gedacht, dass hinter dem deutschen Namen eine Stimme aus Istanbul stecken könnte? Ein Mensch, der in Deutschland aufwuchs, aber in der Türkei sein Geld verdienen muss?
Tatasächlich haben viele deutsche Firmen von der Lufthansa bis zu Neckermann ihre Callcenter ins Ausland verlegt und für einen geringen Lohn Menschen angestellt, die in Deutschland aufgewachsen sind. So wie Bülent, Murat, Fatos und Eidem, die alle in Istanbul in einem Callcenter arbeiten. Freiwillig sind die wenigsten von ihnen zurückgekehrt, und ihnen allen gemein ist die Zerissenheit zwischen den Kulturen gemein – der deutschen, in der sie geboren und aufgewachsen und sozialisert worden sind, und der türkischen der Eltern. Sie wurden von ihren Eltern gegen ihren Willen in die Türkei verfrachtet wie die im Schwarzwald aufgewachsene Fatoş oder der schwule Murat. Oder ausgewiesen wie Bülent, der mit dem frühen Tod seines Vaters nicht klarkam und sich in Gewalt verlor. Nicht selten suchen sie den Weg zurück, suchen andere „Deutschländer“ in der Türkei oder verzweifeln daran, dass sie zwar deutsch aufgewachsen sind, in Deutschland wohnen möchten, aber nicht mehr zurückdürfen.
Regisseurin Martina Priesser lässt die in diesem Film porträtierten Menschen selbst erzählen, fragt, wertet und kommentiert nicht. Über fast 90 Minuten sehen und hören wir die deutsch-türkikschen Migrationsgeschichten, und ganz unmerklich wachsen sie uns ans Herz, bis wir uns am Ende fragen, wie es weitergeht mit ihnen, die wir vielleicht vor einer Woche am Telefon hatten als Ilona Matzke oder Ralf Becker, die einen anderen Namen tragen, in der Türkei leben und ein großes Stück Deutschland mit sich tragen.
Eine warmherzige Dokumentation über Menschen zwischen zwei Kulturen, nachdem man sich unwillkürlich die Frage stellt, warum jemand, der in Deutschland aufgewachsen und bis zum Erwachsenwerden hier gelebt hat, der arbeiten kann und gut deutsch spricht, jede Möglichkeit verwehrt wird, zurückzukehren. Kritisch zu sehen sind natürlich auch deutsche Firmen, die solche Arbeitsplätze ins Ausland verlegen, um Geld zu sparen – und damit die Verhältnisse zementieren. Und man fragt sich natürlich – nicht wenig befremdet, warum sich Callcentermitarbeiterinnen, die in Istanbul angerufen werden, mit einem deutschen Namen melden müssen.
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