Es gibt Bücher, bei denen ahnt man schon vor der Lektüre, dass sie einen ergreifen und bewegen werden, zugleich aber auch mit einer leisen hoffnungslosen Verzweiflung zurücklassen, weil sie offensichtlich machen, wie intensiv wir unseren Planeten derzeit verändern und wieviel Schützenswertes irreversibel verloren zu gehen droht.
So ging es mir auch bei der Lektüre von „Das Mädchen vom Amazonas“ der 1971 geborenen Journalistin Catherina Rust, die als Tochter eines deutschen Ethnologen bis zu ihrem sechsten Lebensjahr bei den noch sehr traditionell lebenden Aparai-Wajana-Indianern im brasilianischen Amazonasgebiet aufwuchs. Als ihre Tochter verbotenerweise Erinnerungsstücke aus dem Schrank kramt, wird die Vergangenheit bei der Enddreissierging wieder lebendig. In ihrem Buch ruft sie sich ihre Kindheitserinnerungen an die Zeit bei den Indianern in Mashipurimo wieder zurück und schafft intensive Bilder beim Leser: unmittelbar scheint man dabei zu sein bei dieser abenteuerlichen Kindheit, die voll integriert war in die Gesellschaft eines Indianerstammes, der kein Wort für „Einsamkeit“ kennt, und sich erheblich von einer europäischen Kindheit unterschied. Ob Kleidung, Essen, Jagd, Spiel, Mythologie – Rusts Kinderzeit ist geprägt vom Regenwald, seinen Pflanzen und Tieren und natürlich von den in einer stark kooperativen gemeinschaft lebenden, alles miteinander teilenden Aparai, die ihr Nähe und Geborgenheit geben und so in dieser Zeit zu ihrer eigentlichen Familie werden. Dabei spart sie nicht an Details und erzählt auch von lebensbedrohlichen Erlebnissen und Augenblicken kultureller Fremdheit.
Gerade der deutliche Kontrast zur modernen Gesellschaft macht den Reiz dieses Buches aus, zeichnet sich das Leben der Aparai doch vor allem dadurch aus, dass niemand nach Besitz oder Status strebt, alle der Bewältigung des Alltags und dem Fortbestehen des Stammes gleichermaßen beteiligt sind und eine Lebensweise vorhherscht, die auf den Einklang mit den natürlichen Ressourcen gerichtet ist. Rust erlebt dies alles hautnah mit, ob sie im Urwaldfluss schwimmt, an Lianen schaukelt, mit anderen bei der Hausarbeit hilft, Affenfleisch isst oder Maden, ob sie an festen teilnimmt oder Reisen auf dem Fluss – stets erlebt sie die fremde Kultur, als sei sie gleichsam ein exotischer, hellhäutiger Teil davon. Es gelingt ihr, diese Erlebnisse in ihrem Buch so spannend und einfühlsam aufzubereiten, dass bei Leser der unmittelbare Eindruck entsteht, dabei zu sein.
Viele Jahre später reist sie als junge Frau wieder zu den Aparai: erschüttert schildert sie, was sich seitdem durch die weitere Zivilisierung und durch die geradezu aufdringliche Missionierung durch amerikanische Kirchen verändert hat. Den Aparai der Gegegnwart droht ihre so perfekt an den Urwald und die natürlichen Ressourcen angepasste Kultur verloren zu gehen. Sie verlieren ihren Zusammenhalt, ihre Harmonie miteinander und es droht ihnen die gleiche Gefahr wie vielen Stämmen vor ihnen: verloren zu gehen in der westlichen Kultur des Besitzstandsdenkens, des Konsums und der Individualisierung. So wird Rust Buch am Ende zu einem Pladoyer für den Schutz des Regenwalds und seiner Bewohner und der Abkehr von der Alldominanz wirtschaftlicher, zivilisatorischer und kirchlicher Interessen, zwischen denen viele indigene Kulturen zerrieben werden. So sehr unser Wohlstand auch schätzenswert sein mag: von Völkern wie den Aparai könnten wir lernen, wie wenig es eigentlich braucht zum Glücklichsein und zum harmonischern Zusammenleben.
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Hat mich berührt und mein Interesse geweckt, ich werde mir das Buch kaufen. 🙂
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Dann hoffe ich, dass dir die Lektüre gefällt und dich das Buch ebenso beeindruckt wie mich … 🙂
Herzlich grüsst Jarg
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