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Was Atheisten glauben / Franz M. Wuketits

Diejenigen von uns, die ihre geringe Bedeutung im Universum mit Heiterkeit betrachten, haben zweifellos eine bessere Chance, ein zufriedenes Leben zu führen als alle diejenigen, die sich krampfhaft an obskure Vorstellungen von einem sinnvollen Universum klammern und zu „beweisen“ suchen, dass sie in diesem vorgesehen waren und in ihm einen ausgezeichneten Platz einnehmen. Solche Leute haben fürwahr nichts zu lachen. (S. 118)

Der österreichische Biologe, Hochschullehrer und Wissenschaftstheoretiker Frank M. Wuketits beschäftigt sich in „Was Atheisten glauben“ mit den grundlegenden, existentiellen Fragen, denen sich Menschen im Angesicht des Lebens und seiner Endlichkeit ausgesetzt sehen. In fünf Kapitel, die durch zahlreiche Quellenangaben und einen kleinen Anmerkungsapparat ergänzt werden, schreibt er über den Atheismus als „lebenswerte Daseinsform“ und legt nüchtern dar, warum sie jeder Art Strenggläubigkeit letztlich sowohl ethisch als auch intellektuell überlegen ist. (S. 8). Wuketits, der nach eigenen Angaben die Gefühle religiöser Menschen nicht verletzen möchte, verzichtet dabei jedoch auf jegliche Polemik und hebt sich damit von Hitchens oder Dawkins ab, auch wenn man deren Polemik m. E. aus atheistischer Sicht durchaus als damals provokant notwendig bezeichnen könnte.

Im ersten Kapitel skizziert er eine Welt ohne Gott und stellt den Übeln der Welt die tatsächliche Gleichgültigkeit Gottes entgegen. Stark stellt er in diesem Zusammenhang den Nutzen des Unglaubens heraus, der den einzelnen tatsächlich zu entlasten vermag, muss er doch die Gründe für Katastrophen und ähnliches Unbill nicht mehr in einem mit Gebeten und Beschwörungen zu besänftigenden Gott suchen. Das heisst nicht, dass wir alles Unglück dieser Welt fatalistisch hinnehmen sollten – auch für Wuketits gilt, dass der Mensch alles in seiner Macht stehende tun sollte, um Unglück zu vermeiden oder zu lindern. Nur gibt es eben kein Schlupfloch ins Jenseits, sondern nur die Gegenwart.

Natürlich bezieht sich der Biologe Wuketits auch auf die Evolution. Im zweiten Kapitel macht er deutlich, dass Evolution an sich keine Entwicklung hin zum Fortschritt beinhaltet, keiner Ursache bedarf und auch keinerlei perfekte Lösungen anstrebt. Im Gegenteil: Evolution strebt zwar zu einer gewissen Effizienz, die sich aber für eine einmal erreichte Entwicklungsstufe nicht in die Zukunft schreiben, ja sich sogar im Zeitverlauf als nachteilige Eigenschaft erweisen kann. Der Mensch ist für ihn daher folgerichtig nur ein Zufallsprodukt der Evolution, dass wie alle anderen Zufallsprodukte dieses natürlichen Prozesses eines Tages aussterben kann, aussterben wird und damit keinerlei Sonderrolle verdient – wie auch immer diese ideologisch begründet sein sollte. Dabei verkennt er nicht, dass auch Wissenschaft einem ständigen Wandel, ständig erneuerter Erkenntnis unterworfen ist:

[…] in hundert oder zweihundert Jahren wird vielleicht manches, was wir heute als wissenschaftliche Wahrheit anerkennen, anders aussehen. Doch hat sich bisher in der naturwissenschaftlichen Forschung Gott tatsächlich als überflüssige Hypothese erweisen. Was wir heute (noch) nicht wissen, ist zuzugeben; das gebietet die intellektuelle Redlichkeit. Doch „was nützt es, den leeren Raum mit frommen Bildern zu füllen“? […] Allenfalls dürfen wir annehmen, dass in Zukunft empirische Studien aus verschiedenen biologischen Disziplinen die Entstehung des Phänomens Religiosität noch besser erklärbar mache werden als das heute bereits der Fall ist (S. 76)

Zentraler Kritikpunkt vieler Gläubiger am Atheismus ist und bleiben ethisch-moralische Fragestellungen, die der Autor im dritten Kapitel unter die Lupe nimmt. Wuketits zeigt schlüssig und mit sorgfältig ausgewählten Argumenten auf, warum es keinerlei festgeschriebener moralischer Regeln bedarf. Natürlich beleuchtet er dabei auch kritisch die einem angeblich allmächtigen, gütigen Schöpfer von seinen Gläubigen zugedachte Rolle, die dem Menschen moralisches Handeln abverlangt, gleichzeitig aber unmoralisches Handeln möglich macht.:

Warum sollte denn ein allmächtiger Gott überhaupt unmoralisches Handeln zulassen – bloß, um es nachher zu bestrafen? Das ergibt keinen rechten Sinn. Er hätte doch sonst den Menschen als friedliches Lamm erschaffen können. (S. 96)

vehement ergreift Wuketits Partei für eine säkular geprägte, immer wieder neu ausgehandelte Antwort auf ethische Fragestellungen, da es nach seinem Dafürhalten in einer komplexen Welt keine feststehenden Antworten auf ethische Fragen geben kann, ja solche feststehenden Antworten große gefahren bergen:

[Es] lässt sich sagen, dass uns der Glaube an das Absolute „moralische Ferien“ gönnt […], eine moralische Entlastung: wenn alles vorgegeben und absolut ist, dann brauche ich mich nur danach zu halten und kann mir weitergehende moralische Reflexionen schenken. Betrachtet man moralisches Verhalten als „naturgewachsen“, dann bedarf man keiner kirchlichen oder weltlichen Priester, die glauben, Moral allein gepachtet zu haben und anderen aufzwingen zu dürfen. Dann aber hat Moral auch keine freien Tage, weil ihre „natürliche Bedingtheit“ und kein konkretes (moralisches) Handeln in dieser oder jener Situation vorschreibt. Wir sind angehalten, über unser Handeln – je nach Situation – immer wieder aufs Neue kritisch nachzudenken und mitunter auch von gewohnten Handlungen abweichende Strategien einzuschlagen. (S. 97)

Die Sinnfrage umtreibt letztlich jeden menschen und steht bei Wuketits im Fokus des vierten Kapitels. Er unterstreicht, dass dem Menschen in einem sinnlosen, gleichgültigen Universum letztlich die (Lebens)aufgabe bleibt, seinem Leben selbst einen Sinn zu geben. Worin dieser besteht, ist dabei letztlich belanglos. Die Sinn- und Glückmomente eines Lebens können dabei ebenso vielfältige Formen annehmen wie das Leben selbst. Wichtig sind für Wuketits die Sinnentwürfe, die jeder für sich selbst finden muss und die Erkentnis, dass es so etwas wie dauerhaftes Glück niemals geben kann.

Es bleibt der Umgang mit dem Tod. Hier zeigt sich erneut, dass Wuketits sich intensiv und nicht nur in seinem Fachgebiet mit seiner Thematik auseinandergesetzt hat. Von Julien Offray de La Mettrie bis Freud, von Morgenstern bis Camus, von Dostojewski bis Russell reicht die Bandbreite der zitierten Autoren. Besonder erfreulich bei meinem Lektürerlebnis war, wie stark er den Humor gherausstreicht, dem er im Angesicht des sicheren Todes jedes einzelnen menschen eine wichtige Rolle zuschreibt. Letztlich plädiert Wuketits für das Diesseits und dafür, den Himmel eher auf Erden anzustreben als in einem (fiktiven) Jenseits zweifelhafter Existenz. Dazu gehört für ihn nicht nur der Humor, sondern auch der Genuss und das Miteinander.

Schlüssig legt der Autor dar, dass ein sinnvolles, in absehbarer Zukunft durch Tod endendes Leben in einer sinnlosen Welt möglich ist und sich auch die Fragen nach religiös begründeter Ethik und Moral nicht stellen, da ethisches Handeln auch ohne feststehende Normen möglich ist, ja sogar befördert wird. Wuketits ist ein ausgesprochen lesenswertes Buch gelungen, ein kleines Manifest über die Lebenshaltung eines Atheisten in einer derzeit wieder von religiös aufgeladenen Konflikten erschütterten Welt, in der es das Glück letztlich nur im Hier und Jetzt gibt.

9 Kommentare zu “Was Atheisten glauben / Franz M. Wuketits

  1. Eine sehr interessante Rezension! Vielen Dank dafür!

    Ich werde es versuchen einzurichten, mir dieses Buch zu Gemüte zu führen, gleich nach „Der Mythos des Sisyphos“ (A. Camus) und „Dialektik der Aufklärung“ (T. W. Adorno; M. Horkheimer).

    Besonders interessant und hilfreich finde ich es, wenn sich Autoren wie Herr Wuketits so strukturiert mit Atheismus befassen, da es dabei helfen kann, dem eigenen Atheismus festere Konturen zu geben.
    Denn dass ist oft genau der Ansatz von religiösen Philosophierenden — den Atheisten mit verwinkelten Argumenten und Gedankengebäuden in Unsicherheit zu bringen, um IHN dann als den Unwissenden und Konzeptlosen zu „entlarven“.

    Mit frohem Gruße — Hr. Jonas IV.

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    • Lieber Hr. Jonas IV,
      danke für den ausführlichen Kommentar und Entschuldigung für die späte, urlaubsbedingte Antwort. Wuketits gut aufgebautes Buch eignet sich gut als Reflexionsfläche für den eigenen Atheismus und als fundierte Argumentationshilfe gegenüber den Fallstricken allzusehr von sich und ihrer Weltanschauung überzeugter Religiöser – sofern man sich auf solche oft sehr einseitigen Diskussionen noch einlassen mag.
      Camus „Mythos“ ist natürlich immer wieder wunderbar und wird ein zeitloses Buch bleiben.
      Herzlich grüsst
      Jarg

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  2. Herzlichen Dank für diese Empfehlung. Wenn man sich mit dem Autor sofort geistesverwandt fühlt kitzelt mich schnell meine Skepsis im Nacken. Muss ich das noch lesen? Brauche ich noch Bestätigungsliteratur für meine Geisteshaltung? Üblicherweise nicht. Deshalb lese ich in Fragen der Religion bevorzugt auch Meinungen, die meiner Haltung entgegen stehen. Doch in diesem Fall sind offenkundig sehr tiefgründig erarbeitete Argumente formuliert worden, die mir vielleicht mal beistehen, wenn ich mich wieder auf eine Glaubensdiskussion einlasse.

    Mit erwachsenen Menschen ist dies ja meist vergebliche Mühe. Doch da ich einen siebenjährigen Sohn habe, werde ich immer wieder rhetorisch und intellektuell hart geprüft mit religiösen Fragen. Habe mich zu diesem Thema auch im Blog schon mal sehr konkret geäußert: http://thomasbrasch.wordpress.com/2014/09/08/fsk-18-fur-den-glauben-an-gott/. Zudem fand ich zu den Fragen der Evolution und der Entwicklung des Menschen noch sehr interessante Einsichten bei Yuval Noah Harari: http://thomasbrasch.wordpress.com/2014/02/24/kurze-geschichte-zum-langen-nachdenken/
    Das Buch werde ich auf jeden Fall lesen. Danke noch mal dafür.

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    • Gern geschehen. Mir geht es mittlerweile auch eher um den intellektuellen Gewinn bei solchen Büchern: und der ist bei Wuketits auf jeden Fall gegeben. Glaubensdiskussionen sind ja immer eine Sache: eigentlich meide ich sie, so wie ich als Vegetarier auch ein entspanntes Verhältnis mit Fleischern pflege und es mir herzlich egal ist, was mein Nachbar isst. Aber manchmal lässt es sich nicht vermeiden … und sofern solche Gespräche vom gegenseitigen Respekt getragen sind, kann das ja auch mal spannend sein.
      Als Vater 9jähriger Zwillinge kenne auch die Fragen, die Dir mit Deinem Sohn wohl begegnen: sie können einen schon ins Schwitzen bringen, die kleinen Philosophen – und bringen einen automatisch dazu, sich mit der Welt und den „weltbewegenden Fragen“ weiter intensiv auseinanderzusetzen. Das hält frisch 😉
      Den spannenden Buchtipp aus deinem Blog werde ich bei Gelegenheit weiterverfolgen – danke dafür und
      Liebe Grüsse von
      Jarg

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  3. Danke für diese Vorstellung, Jarg. Ich werde es gleich auf meine Liste setzen, denn auch mein Mann wird Interesse daran zeigen. Es ist immer wieder schön, wie ich durch deinen Blog auf für mich lesenswerte Bücher aufmerksam gemacht werde. Danke! lg Marlies

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    • Sehr gern geschehen, liebe Marlies, und danke für die freundlichen Worte zu Jargsblog, über die ich mich sehr freue.
      Ich hoffe, er liest es mit ebensoviel intellektuellem Gewinn wie ich.
      Liebe Grüsse von
      Jarg

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