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Krieg : Roman / Jochen Rausch

Es vergeht unendlich viel Zeit, bis eine vergangene Liebe nur noch eine Erinnerung ist und kein Schmerz mehr. Wenn es überhaupt je gelingt. (S. 220)

Einsam und zurückgezogen, nur mit seinem Hund an der Seite lebt der ehemalige Lehrer Arnold in einer heruntergekommenen Hütte in den österreichischen Bergen, die er der Erbin eines Bildhauers abgekauft hat. Er hat alles verloren: sein Sohn Chris, der gegen den Willen seiner pazifistischen Eltern Soldat wurde starb vor Jahren als Berufssoldat in Afghanistan, seine Frau Karen nahm sich aus Verzweiflung über den Verlust das Leben. Jetzt hat Arnold nur noch sich und seine Erinnerungen: an Karen und ihre junge Liebe, an Chris, an das Bange Warten auf dessen Rückkehr und die unvermittelte Gewissheit seines Todes.

So selten wie möglich geht Arnold in den Ort im Tal, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Zurückgekehrt von einem solchen Ausflug, muss Arnold entdecken, dass jemand die wenigen Dinge zerstört hat, die ihm wichtig sind. Wenig später wird sein Hund durch einen Bolzenschuss schwer verletzt und Arnold sieht sich plötzlich einer unsichtbaren, unbekannten Gefahr ausgesetzt. Arnold sieht sich mehr und mehr in einen persönlichen Kampf mit dem Unbekannten hineingezogen, in dem Erinnerung und Gegenwart miteinander zu verschmelzen scheinen und es für ihn am Ende nur einen Ausweg zu geben scheint, der eigenen Vergangenheit zu entfliehen.

Vordergründig mag man „Krieg“ für einen Thriller halten, doch tatsächlich ist es Jochen Bausch gelungen, einen tief erschütternden Roman über einen Mann zu schreiben, der seinen Sohn und letztlich mittelbar auch seine Frau durch einen sinnlos erscheinenden fernen Krieg verloren hat. Arnold ist von seiner Vergangenheit und seiner Trauer so erfüllt, dass er Krieg führt: mit sich selbst und gegen eine unbekannte Gefahr, die in dem ganzen Buch nur durch ihre Taten, nie jedoch als Person sichtbar wird. Trotzdem Arnold am Ende in ethisch fragwürdiger Weise zu handeln scheint, ihm in den Augen des Lesers scheinbar andere Optionen des Handels gegen die immer konkretere Gefahr durch den Unbekannten möglich sind, identifiziert sich der Leser zugleich mit ihm und entwickelt im Laufe der Geschichte fast gegen seinen eigenen Willen eine tiefe Zuneigung für diesen von Leben verstörten Mann, der seiner traurigen inneren Leere am Ende nur durch einen ihm von aussen oktroyierten Kampf entrinnen zu können scheint. Zuletzt hatte ich eine solche widerstrebende Identifikation, als ich „Winter in Maine“ von Gerard Donovan las.

Der Autor verschränkt die Gegenwart Arnolds in den Bergen mit dessen zunehmend intensiver und konkreter werdenden Erinnerungen und verknüpft so auf kunstvolle, gelungene Weise Vergangenheit und erzählte Gegenwart. Rausch Sprache ist dabei hoch verdichtet und kraftvoll, entbehrt jeglicher Schnörkel und gewinnt gerade durch die Andeutung, die behutsame Entwicklung der Geschichte und die große Empathie für seine Protagonisten am Ende eine bedrückende, berührende Kraft.

An dem Roman ist zweierlei bemerkenswert: Rausch schreibt über einen fernen, absurd erscheinenden Krieg und dessen Folgen für die teilnehmenden Soldaten und ihre Angehörigen – und führt uns zugleich in die Innenwelt eines Mannes, den das Leben bis zum Rand mit einer kaum zu ertragenden Trauer gefüllt hat: am Ende führt er selbst einen gnadenlosen Krieg, um seiner Trauer zu entfliehen. Einen Krieg, der ebenso absurd wie unentrinnbar scheint wie jener ferne, brutale Krieg in Afghanistan, in den sein Sohn zog.

Jochen Rauschs Roman ist unerhört fesselnd und spannend und von einer traurigen Schönheit, die mich noch lange bewegt hat. Es mag eine Plattitüde sein zu schreiben, dass ein Buch zum Nachdenken angeregt hat: aber eben diese Wirkung hatte diese Geschichte auf mich – und nachdem ich heute mit jemand über eben dieses Buch sprach und die Wirkung, die es auf uns hatte, dauert dieses Nachdenken weiter an.

Ein intensives Buch mit Tiefgang, dem man sich nicht entziehen und für dessen Lektüre man sich unbedingt Zeit und Ruhe nehmen sollte.

5 Kommentare zu “Krieg : Roman / Jochen Rausch

  1. Pingback: »Der Stärkere besiegt den Schwächeren, so geht der Krieg« | SchöneSeiten

  2. Mir ist der Roman in den letzten Wochen mehrmals begegnet, nicht in Buchform, sondern als Referenz für andere Titel. Ebenso wie Winter in Maine oder beispielsweise auch Das finstere Tal. Bisher sind alle drei ungelesen, aber ich will sie unbedingt noch lesen; mich reizt dieses Motiv der Einsamkeit und Stille, aber auch der unterschwelligen Bedrohung, das alle drei Geschichten vereint. Die Spannung, die daraus entsteht, ohne dass ein Krimi- oder Thrillerplot bemüht werden muss. Ich bin sehr gespannt auf die Lektüre (des einen oder oder anderen Titels)…

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    • Liebe Caterina, da habe ich ja gleich wieder einen Buchtipp, denn „Das finstere Tal“ kenne ich auch noch nicht. Danke! Ich bin gespannt, wie dir „Krieg“ und „Winter in Maine“ gefallen. Beiden Büchern ist ja auch gemein, dass man sich unwillkürlich mit einem Protagonisten identifiziert, der eigentlich unethisch handelt und doch so tief verletzt und so einsam ist, dass er anders als der Leser keinen anderen Weg erkennen kann.
      Liebe Grüsse von
      Jarg

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  3. Ich habe den Roman vor einer Weile auch mit Begeisterung gelesen und kann mich dieser sehr treffenden Rezension nur anschließen. An „Winter in Maine“ hat mich das Buch natürlich ebenfalls erinnert, wobei ich „Krieg“ und vor allem seine Hauptperson fast noch ein wenig gelungener und beeindruckender fand.

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    • Danke für deinen Kommentar. Da ging es ja nicht nur mir so mit der Erinnerung an „Winter in Maine“. In gewisser Hinsicht ist „Krieg“ tatsächlich etwas vielschichtiger, geht einen Hauch mehr unter die Haut, fliessen in die Perspektive des Protagonisten doch auch die anderer Personen ein. Auf jeden Fall werde ich weitere Bücher von dem Autor lesen.

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