„Und so verschwinden Menschen aus deinem Leben, und du behälst nichts von ihnen in Erinnerung als ihre Menschlichkeit, ein armseliges, unstetes Wesen ohne Hoheitsgebiet, wie deines auch“ (E.L. Doctorow: Homer & Langley, S. 98)
New York in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die beiden Collyer-Brüder – Homer, der erblindete, empfindsame Pianist, und Langley, der lungengeschädigte, genial-verrückte Veteran des ersten Weltkrieges – schotten sich nach dem frühen Tod ihrer Eltern immer mehr von der Aussenwelt ab. Langley entwickelt über die Jahre eine unbremsbare Sammelwut, die unter anderem von Schreibmaschinen, Büchern, Musikinstrumenten, Möbeln, Schallplatten, Uhren bis hin zu einem kompletten Ford Model T reicht. Alles wird überlagert von Unmengen an Zeitungen, die Langley sammelt und auswerten will für sein Großprojekt – eine immerwährende Zeitung. Doch während sie sich immer mehr einigeln, kommt in Form von Besuchern doch die Gegenwart und damit auch die ganze (amerikanische Geschichte des 20. Jahrhunderts) zu ihnen – Gangster, Tanzwütige, Jazzmusiker, Hippies und natürlich auch Polizisten geben sich förmlich die Klinke in die Hand. Zunehmend geraten die Collyers aber auch in den kritischen Blick der Öffentlichkeit, da Langley viele Rechnungen nicht bezahlt und ihnen nach und nach Strom, Wasser und Gas abgestellt werden. Zunächst noch von Langley versorgt, vereinsamt der auch langsam ertaubende Homer, Ich-Erzähler des Romans, mehr und mehr, da Langley von seiner Sammelwut voll in Beschlag genommen zu werden scheint.
E. L. Doctorow hat die wahre Geschichte der Collyer-Brüder, die 1947 in ihrem völlig verwahrlosten, zugemüllten Haus tot aufgefunden wurden, zum Anlass genommen, das aus der Sicht Homers geschilderte Leben der Collyer-Brüder auf absurd-komische Weise mit wahren Ereignissen des (amerikanischen) zwanzigsten Jahrhunderts zu einem bizarren Panorama zu verbinden, das im Roman etwa von 1914-1970 reicht und neben dem Ersten Weltkrieg auch die Prohibitionszeit, die große Weltwirtschaftskrise, den Zweiten Weltkrieg, die Rassenunruhen und die Studentenbewegung umfasst. Den in der realen Welt mit ihrem unrühmlichen Ende eher als kranke Außenseiter wahrgenommenen Collyers verschafft Doctorow auf kunstvolle Weise eine wesentlich würdevollere Parallelexistenz in der Welt der literarischen Fiktion.
Ein wunderbares, absurd-komisches und zugleich geistreiches Buch, Roman und Kulturgeschichte Amerikas zugleich.
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