Kaventsmänner, gigantische, plötzlich und unvorhersagbar auftretende Wellen, die jedes vorstellbare Maß überschreiten, aglten bis vor kurzem häufig als Seemannsgarn. Schiffe wurden für durchschnittliche maximalen Wellenhöhen ausgelegt, die oft nicht ausreichten, selten auftretende große Wellen zu überstehen. Die grössten Wellen, die Jarg je gesehen hat, trafen vor etlichen Jahren an die Steilküste des portugiesischen Alentejo, als fern in England ein heftiger Sturm tobte und der Atlantik um Europa stark aufgewühlt war. Dort oben auf den hohen Klippen bekam man nicht nur die Gischt zu spuren und den lauten Aufprall der Wellen, sondern spürte die Kraft des Meeres unter den Füssen, da jede Welle den Felsen zu erschüttern schien. Eine tief beeindruckendes Erlebnis, die meinen Respekt vor den Kräften des Meeres noch mehr steigen liess. Doch das, was ich dort erlebte, wird von den Kräften, die Susan Casey in ihrem Buch „Monsterwellen“ beschreibt, mit Sicherheit weit in den Schatten gestellt.
Über einen Zeitraum von fünf Jahren hat sich die amerikanische Adventure-Journalistin mit ihrem Thema beschäftigt und findet einen besonderen, gleichsam dreifachen Zugang zu ihrem Thema: über Fakten aus der Schifffahrt, über die Wissenschaft und über erfahrene Big-Wave-Surfer.
So berichtet sie von rätselhaften, sich später als wahrscheinliche Folge von riesigen Wellen herausstellenden Schiffsuntergängen, von den Monsterwellen, die in jüngster Zeit Kreuzfahrtschiffe wie die Queen Elizabeth II und die Bremen trafen oder große Frachter in minutenschnelle sinken liessen. Augenzeugen kommen zu Wort, erfahrene Seeleute, die die ungeure Wucht einer solchen Welle überlebt haben und ihre Kraft kaum beschreiben können. Sie geht zurück in die jüngere Geschichte wie etwa der von der 530m hohen Welle, die 1958 in der alaskanischen Lituya-Bucht niederging und Tod und Zerstörung brachte.
Aber Susan Casey geht noch weiter: statt nur Fakten über gigantischen Wellen zu sammeln, spricht sie mit Wissenschaftler auf der ganzen Welt, die sich mit der seit einigen Jahren boomenden Forschung über die Entstehung solcher Wellen widmen. Deren Erkenntnisse sind ausgesprochen beunruhigend: Monsterwellen von 20m, 30m Höhe sind nach dem Stand der Forschung wesentlich häufiger, als man das bisher für möglich gehalten hätte. Auch Tsunamis, die anders als Monsterwellen durch Erdrutsche, Vulkanausbrüche und Erdbeben ausgelöst werden, sind häufiger, als uns vielleicht lieb ist, und auch in Weltgegenden vorgekommen, die uns nahe, sehr nahe sind. Die respekteinflössenden Urgewalten, denen der Mensch ausgesetzt ist und die die Wissenschaft jetzt mehr und mehr erforscht, sind dabei nur eine Seite der Medaille. Überraschend ist, wie stark der klimaerwärmdene Einfluss des Menschen nach Auskunft der Wissenschaftler mittlerweile nicht nur auf Monsterwellen, sondern auch auf Tsunamis ist. Die Erwärmung führt zu mehr Stürmen und veränderten Wasserströmungen, die die Entstehung von Freakwaves begünstigen. Durch den Klimawandel steigt aber auch der Meeresspiegel, wodurch tektonisch labile Regionen gewichtsmäßig stärker belastet und die methaneisgesättigten Kontinentalsockel instabiler werden: das wiederum wird die Gefahr tsunamiauslösender Erdbeben, Vulkanausbrüche und gigantischer untermeerischer Erdrutsche massiv steigern.
Susan Casey sucht bei ihren Recherchen auch die Nähe der Big-Wave-Surfer, allen voran der Surflegende Laird Hamilton und seines Umfeldes, der als einer der erfahrendsten Großwellensurfer der Welt gilt. Die Faszination, die Big-Wave-Surfer empfinden, wenn sie von 18m, 20m Riesenwellen reiten, lässt sich durch Caseys Schilderungen sehr gut nachempfinden. Doch sie zeigt auch, welchen Respekt diese erfahrenen, scheinbar todesmutigen Männer und Frauen haben, wenn sie an die großen Wellen gehen: sie wissen nicht nur um die Gewalt des Meeres, sie spüren dessen Kraft gleichsam und bringen höchste Konzentration auf, um ihren verletzbaren Körper in den Einklang mit diesen infernalischen Kräften zu bringen und die Riesenwellen gut und möglichst unverletzt zu reiten. Faszinierend ist dabei die fast instinkthafte Einschätzung der Wetter- und Wellenlage, die Surfer wie Laird Hamilton entwickelt haben, und verständlich ihre Abneigung gegenüber allen Wettbewerben, die für Geld den Reiter der höchsten und gefährlichen Welle feiern. Ihre Vorgehensweise ist Sport und Zen zugleich, nimmt ihre sich der Kraft der Natur und der Verletzlichkeit des menschlichen Körpers bewußte Vorgehensweise doch regelrecht spirituelle Züge an.
Diese Mischung aus Fakten, Wissenschaft und den Erfahrungen von Big-Wave-Surfern, illustriert mit Fotos aus allen drei Bereichen, macht den besonderen Reiz von Susan Caseys Buch aus, dass sich ausgesprochen spannend liest. Man bleibt mit einem Gefühl des tiefen Respekts vor den gigantischen Kräften unseres Planeten zurück und kann nur hoffen, dass der sich selbst und seine Fähigkeiten gerne selbstüberschätzende Mensch sich dieser Kräfte deutlicher bewußt wird. Angesichts dieses Buches kann einem vor den Plänen Frankreichs und Englands für untermeerische Atomkraftwerke nur Angst und Bange werden. Ganz zu schweigen von unserer verschwenderischen Lebenhaltung, die den Klimawandel weiter beschleunigen wird: zunehmende Stürme und Unwetter, die Verlagerung ganzer Meeresströme drohen, ohne dass uns wirklich bewußt wird, dass wir an einem großen Rad drehen. Einem gigantisch großen Rad! Und wir haben es nicht im Griff.
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