Kirchen, diakonische Einrichtungen, kirchliche Wohlfahrtsverbände sind von der Gewerbesteuer befreit und werden dadurch um etwa 17 Milliarden € jährlich entlastet, erhalten jährlich staatliche Zuschüsse in Höhe von mehr als 50 Milliarden € und weitere finanzielle Vergünstigungen und Subventionen zusätzlich zur den etwa 10 Milliarden Einnahmen aus der Kirchensteuer ihrer Mitglieder. Kirchentage werden in der Regel zu etwa 50% vom Staat bezahlt, wie zuletzt in Hamburg. Der Staat zahlt Bischöfe und bezahlt auch für die Ausbildung von Religionslehrern. Kirchen und ihre Unternehmen haben zudem ein eigenes Arbeitsrecht, das sie vehement verteidigen.
Wir reden von den Kirchen in Deutschland, einem vorgeblich säkularen Land, in dem die Trennung von Kirche und Staat aber leider nur oberflächlich ist. Die finanziellen Ausmaße, die die Kirchenprivilegien seit den entsprechenden gesetzlichen Regelungen von 1952 (in der Weimarer Verfassung waren solche Privilegien unbekannt) angenommen haben, sind ja seit Christian Frerks hervorragend recherchiertem „Violettbuch Kirchenfinanzen“ hinlänglich bekannt: der deutsche Staat überträgt Kirchen und ihren Unternehmen (sogenannten Wohlfahrtsverbänden) staatliche Aufgaben, zahlt dafür (etwa 99% des entstehenden Aufwandes) – und interessiert sich danach nicht mehr dafür, welche Arbeitsbedingungen dort herrschen oder welche Folgen die Delegation staatlicher Aufgaben an weltanschaulich gebundene, durch staatliche Subventionen erst konkurrenzfähige Einrichtungen auf die Arbeitnehmer, den Inhalt der bestellten Dienstleistung und deren „Zielgruppen“ hat.
„Gott hat hohe Nebenkosten“ widmet sich mittelbar auch diesem Thema, verbindet dies aber unmittelbar mit der erschütternden Fallgeschichte der Erzieherin und Kindergartenleiterin Bernadette Knecht aus Rauschendorf: am Beispiel ihrer Kündigung aufgrund einer Scheidung und eines neuen Lebenspartners, des Kampfs der von ihrer Arbeit begeisterten Eltern zunächst (fruchtlos) um den Erhalt ihres Arbeitsverhältnisses und danach um die Kündigung des Vertrags mit der Kirche als Träger durch die Stadt, werden die Auswüchse deutlich, die mittlerweile aus der Sonderstellung der Kirchen mit mittlerweile 1,3 Millionen Angestellten ausserhalb des üblichen Arbeitsrechtes und der Diskriminierungsverbote entstanden sind.
Akribisch, differenziert und sorgfältig geht Eva Müller dem bundesweit Aufmerksamkeit erregenden und die Diskussionen um die Kirchenprivilegien anheizenden Fall nach, zeigt die (aus ihrer Sicht als Verkündigungsinstitution eines selbst postulierten Gottes) durchaus verständliche kompromisslose Haltung der Kirche auf und den engagierten Kampf der Eltern für eine Weiterbschäftigung der in ihren Augen hervorragenden Erzieherin. Müller zeigt auch andere Fälle auf wie die eines in Kirchenträgerschaft gegebenen Krankenhauses, in dem die Beschäftigten jetzt aus Angst um ihren Arbeitsplatz in die Kirche eintreten, ohne gläubig zu sein, und den Fall einer katholischen Schule, die einer evangelischen Lehrein eine feste Stelle verweigern muss aufgrund ihrer Konfession.
Sie geht auch auf den Skandal ein, dass es mittlerweile Gemeinden gibt, in denen Kinder überwiegend konfessionell gebundenen, sogenanngten staatlichen Ersatzschulen zur Verfügung stehen. Möchten Eltern ihre konfessionslosen Kinder nicht an diese Schulen schicken, weil dort die Teilnahme am Religionsunterricht verpflichtend ist unter Androhung eines Schulverweises wegen „erschlichener Schulaufnahme“, bleibt ihnen nur, ihr Kind auf Staatskosten in eine andere Gemeinde karren zu lassen, Auch können solche Schulen bei großer Nachfrage nach Aufnahme in die Schule Kinder bevorzugen, die einer Konfession angehören – und andere ablehnen. Sie erhalten aber Staatsgelder, die ihren Schulbetrieb fast komplett finanzieren. Selbst konfessionell gebundene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an solchen Schulen zeigen zuweilen wenig Verständnis für solche Mißstände (wie am Beispiel der Liebfrauenschule in Emmerich, Kreis Kleve gezeigt wird).
Wohlgemerkt: es geht in Eva Müllers Buch nicht nur (aber auch) darum, ob solche kirchenspezifischen Arbeitsrechtregelungen aus unserer Zeit fallen. Kirche mag ja als Arbeitgeber durchaus Bedingungen an ihre Beschäftigten stellen – solange sie diese aus dem Aufkommen an Kirchensteuer und Spenden bezahlt. Eben dies tut sie aber nicht, und darin liegt die Krux. So zitiert sie in ihrem Buch Carsten Spiegel, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion:
„Ich finde es nicht hinnehmbar, dass über eine Million Arbeitnehmer in Betrieben, die soziale Dienstleistungen erbringen, keinerlei Streikrecht oder die rechte des Betriebsverfassungsgesetzes haben. Das hat auch nichts mit dem Verkündigungsauftrag der Kirchen zu tun, sondern die erbringen eine staatliche Dienstleistung, sei es im Kindergarten oder im Alten- und Pflegeheim, dafür bezahlen wir, und deshalb müssen dort auch normale Sozialstandards gelten. Der Verkündigungsauftrag, der kann gelten, aber für Pfarrer, für den engsten Bereich, nicht für eine Kindergärtnerin […]. Es kann nicht sein, dass jemand, der Kinder erzieht oder Alte pflegt oder in der Schule Mathematik unterrichtet, diesen Job nicht bekommen kann, weil er nicht katholisch oder evangelisch ist, das ist überhaupt nicht akzeptabel. Da gilt das Antidiskrminierungsgesetz und ich finde, es wirft ein verheerendes Bild auf Deutschland, dass wir in einem Bereich von Millionen Beschäftigten eine Separierung haben“ (S. 137).
Der Rauschendorfer Kindergarten ist mittlerweile auf einen evangelischen Träger übergegangen, der gegenüber Frau Knechts Scheidung entspannter ist. Aber ein konfessionsloser Erzieherer oder eine Muslima dürften auch hier nicht arbeiten. Selbst wenn sie sehr gute Erzieher sind.
Das Buch zeigt es deutlich: es wird Zeit, dass mit den Kirchenpriviegien Schluss ist, die Trennung von Staat und Kirche endlich (wie in vielen anderen demokratischen Ländern) vollzogen wird und staatliche Dienstleistungen nach den selben Standards privat vergeben werden, die auch für den öffentlichen Dienst gelten: Diskriminierungsverbote und Arbeitsrecht müssen auch bei privatisierten staatlichen Dienstleistungen gelten, den Kirchen muss ihre zum Lohndumping führende Sonderstellung genommen werden. Es kann ausserdem nicht sein, dass es in Deutschland mittlerweile Landstriche gibt, in denen ich in bestimmten Berufen nur noch als Kirchenmitglied Arbeit finde, weil der Staat die entsprechenden Aufgaben komplett an konfessionell gebundene Träger outgesourct hat. Und es kann nicht sein, dass ernsthaft über die Übertragung der geltenden Kirchenprivilegien an andere Glaubensrichtungen diskutiert wird, statt sie endlich komplett abzuschaffen.
Für die Bezahlung ihrer Verkündigungsarbeiterinnen und -arbeiter darf die Kirche dann ja gerne ihre Kirchensteuereinnahmen verwenden, denn mit 10 Milliarden dann von ihr selbst (und nicht vom Staat) eingezogener Kirchensteuer kann man ja durchaus etwas anfangen in der Mitgliederwerbung und -betreuung. In Kindergärten selber etwa oder in Schulen, die mit staatlichen Mitteln bezahlt werden, kann und soll es Aufklärung über die verschiedenen menschlichen Ansätze zur Weltinterpretation und Sinngebung (wie in Brandenburg mit dem Fach LER gleich Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde) gerne geben: aber dann von unabhängiger Seite, differenziert und neutral auf dem Boden der gelebten Demokratie eines freien Landes mit freien Bürgern: denn Verkündigung gleich welcher Ideologie oder Weltanschauung auch immer hat dort nichts zu suchen und Kinder sollen als Erwachsene ihre eigene, freie Meinung entwickeln können, unabhängig von Konfession oder Weltanschauung ihrer Eltern.
ja, da ist sicherlich einiges im argen, was die kirche als arbeitgeber angeht. aber man sollte dann doch trennen, kirche ist nicht unbedingt identisch mit gott, der im titel ja den aufmacher gibt. im grundlegenden christlichen text, der bibel, ist von all den sachen wie altenheimen, kindergärten etc pp nicht die rede… sind für mich zwei paar schuhe, gott und kirche. deswegen find ich den titel etwas irreführend.
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Vielleicht ist der Titel irreführend, mag sein. Und so wie es auch kritische Führungskräfte innerhalb der kirchlichen Arbeitgeber gibt, die das Verhalten des Arbeitsgebers Kirche nicht zeitgemäß finden, kann man natürlich DIE Kirche nicht für den Glauben setzen.
Andererseits verhält sich der Arbeitgeber Kirche nicht eben christlich – daher die „Nebenkosten“ und die möglicherweise provokante, aber in diesem Sinne auch notwenige Voranstellung des Wortes „Gott“. Nach meinem Empfinden sollte sich die Kirche daher wie früher auf ihren eigenen Auftrag beschränken und sich aus öffentlichen Dienstleistungen weitgehend heraushalten bzw sie weltanschaulich neutralisieren und zu Bedingungen des freien Wetttbewerbs anbieten – also ohne Kirchenprivileg und eigenes Arbeitsrecht.
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echt, ne…bild‘ ich mir das ein, oder geht „uns deutschen“ bei diesem thema überproportional oft die hutschnur hoch?
es geht übrigens auch anders: ich wurde damals auf einer bischöhlichen schule angenommen – als protestantin mit 6 anderen leuten im meinem jahrgang absolute minderheit, aber ey, randgruppen beleben das geschäft, oder?
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Ja, irgendwie scheint das so zu sein. So wirklich entspannt sakulär mit der freien Entscheidung für jedwede private Weltansschaung (ausser extrem) ist dieses Land halt noch nicht. Aber klar: wen solche Blogbeiträge Provokationen und Unflat hervorrufen, können sie so falsch nicht sein 😉
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ganz meine meinung!
neulich war’s lustig: meine beste freundin (sehr liberale kath. religionslehrerin) traf auf einen sehr guten freund von mir, mein (und er hat sich selbst mal so bezeichnet, daher darf ich das ohne große probleme schreiben) „quoten-moslem“ – sehr spannend, das ganze…wir diskutierten uns den mund fusselig und waren einstimmig dreistimmg der meinung, dass sich wohl ahuptsächlich die aufregen, die sich nicht auskennen (wollen)…umso mehr spaß macht es, „diese leute“ zu ärgern 😀
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Im eigenen Freundeskreis, in dem Atheisten ebenso wie gläubige Menschen vertreten sind, habe ich zum Glück ähnliche Erfahrungen wie Du gemacht: da gibt es jene anderen, die entspannt diskutieren, einen weder missionieren wollen noch die eigenen Zweifel mit den Zweifeln an der Lebenshaltung der anderen zu kaschieren suchen – und letztlich vor allem eines sind: Mensch.
Schön ist, wenn man die eigene Lebenshaltung auch mit einem gewissen Humor sehen kann wie Dein moslemischer Freund. Denn letztlich haben wir doch alle die gleichen Bedürfnisse nach Sinnstiftung, Schutz, Gemeinschaft, Liebe – und betreten bloß andere, eigene Wege. Wie sagt Schmidt-Salomon so schön: “Erst wenn wir uns nicht mehr als Christen, Juden, Muslime, Buddhisten, Hindus oder Atheisten gegenübertreten, sondern als freie, gleichberechtigte Mitglieder einer mitunter zur Selbstüberschätzung neigenden affenartigen Spezies, wird sozialer Frieden überhaupt möglich sein”.
Herzlich grüsst
Jarg
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Wer über diesen Artikel hinaus sein Wissen noch etwas vertiefen möchte: Im „Muskelkater“ sind schon 2010 mehrere Artikel zu diesem Thema veröffentlich worden.
Zum Beispiel http://muskelkater.wordpress.com/2010/08/18/skandal-die-macht-der-kirche-und-was-die-uns-kostet/
Viele Grüße,
Manuel
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Danke für die Ergänzung.
Herzlich grüsst
Jarg
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Spricht mir aus der Seele! Geteilt in fb:-)
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Danke für den Kommentar und für das Teilen auf dem Gesichtsbuch. Und herzliche Grüsse von Hamburg nach Hamburg 😉
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Harter Tobak. Mann Mann Mann!
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Stimmt. Leider wahr. Und das 2013.
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Reblogged this on Dagmar Terrace.
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Im Singemer Wochenblatt (Rubrik, Glosse vom Bunten Hund) stand gestern auch etwas zu diesem Thema:
http://www.wochenblatt.net/die-woche/der-bunte-hund.html
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Ob dann mein eigener Beitrag (http://freies-in-wort-und-schrift.info/2013/05/05/soviel-du-brauchst-ideologie-religis-verbrmt/) überhaupt passt?
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Jo, dat geiht.
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Reblogged this on Muskelkater.
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Wahre Worte gelassen ausgesprochen…
Da werden wieder Trolle kommen! 😉
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Oh ja, ich fürchte, sie sind schon im Anmarsch. Aber die Schutzschilde sind ausgefahren und die Rutsche zur Vorhölle des Spamordners ist gut gefettet 😉
(und ssssst … wieder einer).
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Muahahaaah! Dann kommen sie alle mit „fetten Hintern “ in die Vorhölle! Das wird vor Allem den Frauen nicht Recht sein! 😉
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Ja, dass wird übel aussehen. Das gute Öl habe ich jetzt leider für den Spargel genommen – und dafür das ranzige auf die Spamordnerrutsche gegossen. Au wei, und sie dürfen ja nicht fluchen …;-)
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😀
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Geteiltes Leid ist halbes Leid: ich habe den Artikel reblogged.
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