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Gott behüte! Warum wir die Religion aus der Politik raushalten müssen / Robert Misik

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Reflexhaft wird mittlerweile auch angesichts des bedrohlich erscheinenden islamistischen Furors in den säkularen Staaten Europas einer Rückkehr der Religion in den politischen Diskurs das Wort geredet. Da ist von christlichen Grundwerten die Rede, von der christlichen Moral, auf die sich unsere westlichen Gesellschaftssysteme angeblich stützen. Ohne Glauben, ohne Gott brächen sich Gewalt, Rücksichtlosigkeit und Sittenlosigkeit Bahn. Wortreich wird begründet, warum ein islamisches Land wie die Türkei natürlich nie in die Europäische Union eintreten könne, schliesslich hätten die europäischen Gesellschaften eine sogenannte christliche Idendität.
Robert Misik widmet sich mit gewohntem Scharfsinn und leiser Ironie allen, die eine politische Theologie herbeischwören wollen, vom Medienstar Papst Benedikt XVI bis hin zu den Motivationen der Islamisten. Dabei zeigt er keinerlei übertriebenen Respekt vor den Religionen, sondern macht mehr als deutlich, dass für moderne, demokratische Staaten Religion absolute Privatsache zu sein hat. Dabei sieht Misik die frühe Indoktrination im Islam genau so kritisch wie bei uns, wo bereits Kindergartenkinder nicht selten christlicher Prägung unterliegen, ohne eine freie Wahl zu haben. Auch die so selbstverstänliche Einflussnahme von Religionsvertretern bei kritischen Entscheidungen, etwa in Ethikräten, sieht Misik ausgesprochen kritisch, da er keinerlei Grund erkennen kann, warum Religionsvertreter besonders geeignet sein sollten, ethisch-moralische Belange zu beurteilen.
Intensiv und kenntnisreich widmet sich Misik dem Koran und der Bibel die er zwar für wichtige schriftliche Zeugnisse hält, aber für ihre Widersprüchlichkeit, ihre gewalttätigen, zu Verachtung, Vertreibung und Massenmord aufrufenden Bestandteile verurteilt:
„Sie lehren das Eiferertum, und die Bibel wie der Koran strotzen vor Passagen, die das Hinschlachten der Ungläubigen, der Fremden,starken legitimieren. die Bestrafung der weniger Gläubigen legitimieren. Die Bibel ist bestimmt ein bedeutendes Stück Literatur und die Lektüre des Koran ein ästhetisches Erlebnis, aber beides sind keine Bücher, die man seinen Kindern geben sollte, wenn man sie zu moralischen Individuem erziehen möchte (S. !63.).
Religion, so belegt Misik überzeugend, sei nicht Opium, sondern Aufputschmittel fürs Volk, Daher plädiert er plädiert nachdrücklich für den säkularen Staat. Religion sei unbedingte Privatsache und habe sich aus der Politik und dem Staat komplett rauszuhalten. Dabei ist Misik, der gerne mit Gläubigen diskutiert, die ihren eigenen Glauben einer harten Kritik aussetzen, statt die Überzeugungen anderer herabzuwürdigen, stets fair genug, Religionen nicht für alle Übel der Welt verantwortlich zu machen und einer fairen Bewertung ihrer positiven wie negativen Seiten zu unterziehen.
„Die Religiösen verteidigen ihren Glauben heute … vor allem damit, dass er nützlich sei. Dies ist aber … nicht der Fall. Erstens schadet die Religion, weil sie die mächtigste Kraft ist, Menschen gegeneinander aufbringt und kulturell von anderen Menschen abgrenzt. Zweitens ist es keineswegs so, dass man nur auf Basis einer religiös begründeten Moralität unmoralisches Verhalten überhaupt zu kritisieren vermag. … Drittens unterstellt eine solche Auffassung natürlich, dass religiösere Gesellschaften irgendwie moralisch besser wären als nichtreligiöse Gesellschaften. … Wie wir wissen, ist eher das Gegenteil der Fall“. (S. 216ff).
Misik akzeptiert Religion durchaus als EINE gemeinschaftsstiftende Möglichkeit für Menschen, sich zusammenzuschliessen. Aber er lehnt religiöse Identitäten ab, da der moderne Mensch sich mit einer Vielzahl von einander überlappenden Identitäten durch das komplexer werdende Leben bewege und es DIE eine Identität nicht gibt.
„Gott behüte!“ ist kein Buch über Atheismus (trotzdem Misik Atheist ist), aber eine ausgeprochen fundierte Religionskritik und Kritik an politischen Anmaßungen von Religionen, mit spitzer Feder und Ironie geschrieben, jedoch wohltuenderweise ohne die Polemik eines Richard Dawkins, die aufgeklärter Atheismus nicht wirklich nötig hat.

4 Kommentare zu “Gott behüte! Warum wir die Religion aus der Politik raushalten müssen / Robert Misik

  1. „Nein, tut mir leid, da baue ich mein Haus lieber auf den säkularen Staat, auf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“

    Ja, ich auch – aber wenn ich das heute sage, dann als ein Mensch, der als Kind die protestantische Erziehung erlebt und sich von ihr befreit oder zumindest gelöst hat.

    Es geht mir bei meinem Einwand nicht um die Rechtfertigung eines religiösen Absolutheitsanspruchs. Es geht mir darum, dass wir die Schätze an Humanismus, Gemeinschaftlichkeit, gegenseitige Hilfe, die wir in unserer Gesellschaft in den christlichen Gemeinden haben, auch als einen Schatz bewahren.

    LG Carmen

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    • Hi Carmen
      Das Humanistische, Gemeinschaftliche, die Bereitschaft zur gegenseitiger Hilfe bewahren – da gehe ich völlig mit konform mit Dir- und das kommt auch sicher zu kurz in unserer konsumorientierten Selbstverwirklichungsgesellschaft der massenhaften Egotrips. Aber ich habe starke Zweifel, ob wir das in christlichen Gemeinden wirklich mehr finden als in anderen Lebenszusammenhängen … bei allem Respekt, den ich für die oben bereits beschriebenen religiösen Menschen unter meinen Freunden habe. Aber vielleicht bin ich da auch schon zu fern von Kirche, obwohl ich es in jungen Jahren, aus säkularem, in diesem Sinne keinerlei Einfluss nehmenden Elternhaus stammend, mal mit ihr versucht habe.
      Das ist übrigens etwas, was Misiks Buch wohltuend von dem Dawins auszeichnet: er leugnet nicht, dass Religion EINE (von vielen) sinnstiftenden, haltgebenden Möglichkeiten sein KANN. Dawkins, so begeistert man ihn als mehr und mehr zum Atheismus findender Mensch auch lesen mag, eifert mir im Nachhinein doch manches mal zu sehr – was eigentlich bei keiner Überzeugung nötig sein sollte.

      LG von Jens

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  2. Die „Vielzahl von einander überlappenden Identitäten“ ist genau das, was mich an meinen Mitmenschen häufig irritiert: FDP-Wähler und Impfgegner, Vegetarier und Vielflieger, berufstätige Mutter und Antifeministin, alles in einer Person, unverbunden ohne jegliche Klammer.

    Je älter ich werde, desto häufiger entdecke ich die Vorteile der christlichen Religion. Und weil ich gerade Gunter Dueck gelesen habe, ein kleines Zitat, das mir gut gefiel:

    „Wir werden in den nächsten Jahrzehnten immer deutlicher merken, wie sehr uns die Religion und die christliche Kultur fehlen, die wir Stück für Stück als veralteten Ballast über Bord werfen. Früher sind wir schon allein deshalb tüchtig gewesen, weil wir ein Gefühl für die sprichwörtliche Arbeitsethik hatten. Heute brauchen wir offenbar fast nur noch „richtig gesetzte Anreize“. Wir sind frei, egoistisch zu sein.“ (Aufbrechen“ von Mathematiker und Philosoph Gunter Dueck)

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    • Ich habe in meinem nahen Umfeld durchaus enge Freunde, die eine religiöse Überzeugnung haben, ohne einen Absolutheitsanspruch anzunehmen und deren religiöse Identität ich deshalb respektieren kann, weil sie auch den starken Zweifel einschliesst am System Glaube bis hin zur Möglichkeit, dass das alles vielleicht nur die berühmte Feuerbachsche Projektion isrt. Trotzdem bleibt für mich der Atheismus der einzig mögliche Weg. Denn was soll das sein, DIE EINE Identität, und wozu braucht man die? Das menschliche Leben hat sich über die Jahrtausende immer weiter ausdifferenziert, ist unendlich vielfältig geworden. Und wenn man mal ganz tief und ehrlich in sich hineinschaut, sieht man, wie vielfältig die möglichen eigene Wege und Identitäten in verschiedenen Lebenszusammenhängen sein können, auch und gerade in ihrem Widerspruch, der befruchtend und beängstigend zugleich sein kann. Keine Frage, Religion kann etwas sein, was Menschen zusammenhält. Aber Zusammenhalt gilt auch in anderen menschlichen Gemeinschaften, warum soll die Religion da für sich in Anspruch nehmen dürfen, der bessere Weg zu sein? Und das auch noch mit Absolutheitsanspruch?
      Eine humane Gesellschaft, so meine feste Überzeugung, muss sich nicht auf die Religion gründen, ja darf es nicht einmal – an den USA sieht man, wohin das führt (eine militaristische Kultur, höchste Mordraten, höchste Zahl von Gefängnisinsassen, ein absolut ungerechtes politisches System). Denn Religion ist nicht die Voraussetzung, um ethisch und moralisch handeln und sinnvoll leben zu können. Nein, tut mir leid, da baue ich mein Haus lieber auf den säkularen Staat, auf Freiheut, Gleichheit, Brüderlichkeit. Gebe mein Bestes im privaten Alltag mit Familie, Freunden und Kindern wie im Beruf im Wissen, dass eine Generation auf die nächste folgt und mein Handeln als einzelner Mensch in den Zusammenhängen, in denen ich mich bewege, Folgen hat für die Gegenwart und die Zukunft. Prinzip Verantwortung, nicht Schuld und jenseitige – verzeih – Abrechnung.

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