„Die Enden der Welt“ ist kein Reiseführer, keine Aneinanderreihung von Sehenswürdigkeiten und touristischen Zielen. Roger Willemsens in diesem Buch versammelte Reiseberichte aus drei Jahrzehnten sind im Gegensatz zur touristischen Reisemotivation auf der Suche nach dem nächsten Schnappschuss geprägt von dem Wunsch, dem Ort nahezusein, seinen banalen Alltag zu sehen. Schlüsselerlebnis für Roger Willemsen war die Begegnung mit dem achtjährigen Tom in einem Krankenhaus in den 70er Jahren: Tom hatte gerade erfahren, dass er binnen weniger Wochen sterben würde. Doch schon Minuten nach dieser Nachricht meinte Tom, ihm wäre langweilig. Willemsen legte sich daraufhin neben ihm ins Krankenhausbett und reist mit ihm in Gedanken bis ans Ende der Welt, in Landschaften, die „nicht fremder werden, nur ferner“.
So reist er später über viele Jahre in Gegenden, die der Junge vielleicht hätte bereisen können, wenn er noch leben würde. Er findet die subjektiven Enden der Welt unter anderem in einem Bordellflur in Bombay, am Sterbebett eines Greises in Minsk, am Ort der Scheintoten in Kathmandu, auf den Südseeinseln von Tonga und an einem ausgetrockneten See in Italien, beim Opiumrauchen in Chaing Mai, in einer Behörde im kriegszerrrütteten Kinshasa und im Niemandsland des Amu Darja, des Grenzflusses zwischen Afghanistan und Tadschikistan. Es sind Orte, in denen Liebe, Träume, Illusionen enden, die menschlciche Ordnung und Vernunft, ja das Leben. Und in denen etwas neu beginnt. Immer wieder begegnet er so sich selbst im Spiegel, im Zerrspiegel der besuchten Gegend und ihrer Menschen. Er setzt sich Erfahrungen aus, die uns fremd sind, uns verwirren, ja verstören, und nähert sich den Menschen, denen er begegnet, mit großer Sensibilität und behutsamer Neugier nicht als reiner Betrachter, als Tourist, auf der Suche nach der nächsten sensation, sondern als reisender Mensch, reflektiert und selbstkritisch, mit offenen Augen für die 1001 Arten des Menschseins.
Ein wunderbares, streckenweise berauschendes und tief berührendes Buch, sprachlich ansprechend, einfühlsam und spannend, dass einen mit auf die Reise nimmt und noch lange nachwirkt im Kopf des Lesers.
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