Kristian Ditlev Jensen ist Journalist. Und hat an diesem einen Tag besonders schlechte Laune, als ihn die Redakteurin der dänischen Bahnzeitschrift Ud & Se fragt, ob er ein Interview mit dem Kronprinzen führen will. Nein, hat er nicht. Aber die Redakteurin lässt nicht locker, und so wird ein Brainstorming daraus und letztlich der Auftrag, für Ud & Se Reiseberichte über extreme Eisenbahnstrecken und -reisen weltweit zu schreiben. Und da die Danske Statsbaner das Ganze zu finanzieren bereit ist, geht es schon bald los. Mit seinem zerbeulten Rimowa-Koffer und einem iPod mit von einem Freund extra für jede Strecke zusammengestellten, passenden Playlists reist er mit dem Shinkansen in Japan, mit der Glacier-Express in der Schweiz, dem superluxuriösen Blue Train in Südafrika, dem Amtrak-Zug „The Crescent“ von New York nach New Orleans.
Was er daraus macht, ist mehr als eine bloße Reportage: Jensen zeigt und eine Art zu Reisen und ihre Vorzüge und Besonderheiten, die im Zeitalter der schnellen Überwindung von Distanzen mit dem Flugzeug zu oft in Vergessenheit gerät. Wo die Flugreise normiert scheint, die Flughäfen ewig gleich und die Passagiere gleichermaßen gehetzt wie distanziert, begegnet Jensen auf seinen scheinbar anachronistischen Reisewegen den Menschen und der Kultur des jeweiligen Landes vielleicht intensiver und wahrhaftiger als so mancher vom Flugzeug in den touristisch relevanten Regionen abgesetzte Urlauber.
So weckt er die Sehnsucht, auch diese Ruhe in japanischen Schnell-Zügen zu erleben, wo jeder wie selbstverstädnlich sein Handy ausmacht und Reisende im Bahnhof gekaufte, apart verpackte Mahlzeiten zu sich nehmen. Bizarr die Reise in Peru, hinauf nach Machu Picchu, mit Verkaufsshow des ums Vertreiben der Zeit bemühten Zugpersonals und Kokagenuss zur Überwindung der Höhenkrankheitssymptome. Beeindruckend das Bahnland Schweiz mit seiner Pünktlichkeit und dem perfekten Service im Bordrestaurant. Üppig der Luxus im Blue Train Südafrikas, kontrastierend zur Armut in den vor den Fenstern vorbeigleitenden Townships. Und vor allem und immer wieder erzählt uns Jensen von den Menschen, denen er begegnet, voller Sypathie und Neugier, ihrer Lebenshaltung, ihren Geschichten, Überzeugungen, ihrem Glauben. Er erzählt vom Essen und der Musik, die ihn begleitet, von indischer Bürokratie und amerikanisch-lockerem Service, buddhistischen Taxifahrer, australischen Vietnamveteranen, vom Kofferpacken und dem Unterschied zwischen nord- und südeuropäischer Lebensart.
Kristian Ditlev Jensen zeichnet ein unverstellter Blick aus, eine Unvoreingenommenheit, mit der er seinen Mitreisenden begegnet und der Bahnreisekultur des jeweiligen Landes. Nie wertet er, nie urteilt er über Länder, Sitten, Menschen, sondern bleibt stets der genaue Beobachter, der einfühlsam, mit Blick für Nuancen und Besonderheiten seine Erlebnisse zu schildern weiss. Ein sinnliches, genau beobachtetes, humorvoll und farbig erzähltes Buch, das seinen für ein paar intensive Stunden mit nimmt auf Reisen in die Ferne, die Fremde.
Startseite » Bücher » Von japanischen Brotbüchsen, indischen Göttern, komischen Alpendialekten, süßen Südstaaten, afrikanischen Kriechtieren und der Köstlichkeit des langsamen Reisens / Kristian Ditlev Jensen
Lieber Jarg, vielen Dank für die tolle Rezension – ich habe sofort Lust bekommen, das Buch ein 2. Mal zu lesen.
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